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Kinderhilfe Afghanistan – Rückblick 2022

23 Jan 2023— 01:01 Uhr

Kinderhilfe Afghanistan – das Jahr 2022 im Rückblick.

Liebe Kund*innen und interessierte Leser*innen,

gestern erreichte uns der jährliche Zustandsbericht der Kinderhilfe Afghanistan mit den aktuellen Entwicklungen, den wir gerne mit Ihnen teilen wollen.

Seit mehr als 17 Jahren unterstützen wir von Finanzaktiv die Kinderhilfe Afghanistan. Dabei handelt es sich um eine private Initiative der Regensburger Familie Dr. med. Reinhard und Annette Erös und ihrer fünf erwachsenen Kinder Veit, Urs, Welf und die Zwillingsschwestern Cosima und Veda.

Die Familieninitiative wurde 1998 ins Leben gerufen und unterstützt vor allem Kinder und Frauen in Afghanistan mit schulischen und medizinischen Projekten.

„Liebe Freunde der Kinderhilfe Afghanistan,

Afghanistan hatte zweifelsohne schon mal bessere Zeiten!

Für viele, besonders für Mädchen und Frauen und vor allem in größeren Städten, geht ein mehr als trauriges Jahr 2022 zu Ende:

Ca. 17.000 exzellent ausgebildete Frauen verloren über Nacht durch Dekret der Taliban Führung aus Kandahar einen über viele Jahre ordentlich bezahlten Job bei internationalen Hilfsorganisationen.

Da sie, anders als die männlichen Mitarbeiter der NGO`s, immer Zugang zu allen Frauen im Land hatten, leidet jetzt natürlich in vielen Bereichen die generelle Entwicklung des Landes.

Mit ihrem Gehalt konnten und mussten sie, viele als Witwen oder elternlos verantwortlich für ihre Geschwister, oft als Einzige auch ihre Familie ernähren. Hundertausende Mädchen konnten in den meisten Provinzen den Schulbesuch ab Klasse 7 nicht mehr fortsetzen.

So war ihnen von heute auf morgen das Abitur und danach auch der Unibesuch plötzlich verwehrt. Auch die bereits studierenden Mädchen standen im Dezember plötzlich vor verschlossenen Türen ihrer Universität.

Dieses annus horribilis war nicht in allen der 34 Provinzen des historisch schon immer sehr föderalen Staates gleich ausgeprägt.

Die Taliban Führung ist räumlich und politisch gespalten:

Der sogenannte selbsternannte Amir ul Mumineen – Führer der Gläubigen – Ahundzadah, das formale Staatsoberhaupt des Emirates Afghanistan, gilt als extremer Hardliner. Er hatte z.B. im Frühjahr 2001 gegen Widerstand etlicher Taliban Führer  angeordnet, die Buddha Statuen in Bamian zu zerstören. Ahundzadah  lebt und residiert in Kandahar, dem einstigen Wohnort des Gründers der Taliban Mulha Omar. Er hat dort eine Gruppe anderer Hardliner, z.T. auch religiös, wenig gebildet und daher nicht bei allen Taliban angesehen, um sich geschart.

Nicht alle Taliban Minister unterstützen die Dekrete des “Emir” Ahundzada und seiner Entourage in Kandahar.

Die z.B. in Kabul residierenden Minister für Inneres, Verteidigung und Gesundheit wollen die Verbote der Berufsausübung und des Besuchs der Oberschulen und Universitäten für Mädchen rückgängig machen. Diese drei Minister sind vor einer Woche nach Kandahar gereist, um mit dem “Emir” darüber zu sprechen. Unter ihnen auch der Gesundheitsminister Al Haj Dr. Qaladar Ebad, der vor 20 Jahren bei uns an der Universität in Jalalabad studiert und dann in Pakistan zum Facharzt weitergebildete Arzt.

Der einzige unter den Ministern Afghanistans mit einer akademischen Ausbildung und exzellenten Englisch-Kenntnissen. Dr. Ebad war als Student Kommilitone einer unserer wichtigsten Mitarbeiter, des auch in Deutschland ausgebildeten Kinderarztes Dr. Qais.

Dieser Konstellation ist es zu verdanken, dass unsere Medizinprojekte weiterlaufen und die Situation unserer Medizinstudentinnen deutliche besser ist als in anderen Provinzen.

In “unserer” Provinz Nangahar im Osten des Landes an der Grenze zu Pakistan konnten die Mädchen wenigstens noch bis Dezember in einigen Schulen alle Klassen besuchen.

Die Medizinstudentinnen – aber eben nur im Fachbereich Medizin – gehen dort bis zum heutigen Tag in die nach Geschlechtern getrennten Vorlesungen.

Die Hebammen- und  Krankenschwesternschülerinnen besuchen noch immer ungestört  den Unterricht. Ca. 100 von ihnen erhalten weiterhin unser Stipendium und wohnen kostenlos in unserem Studentinnen-Wohnheim.

In unseren Computer-Klassen und in den Schneiderinnen-Berufsschulen läuft die Ausbildung für ca. 600 x Mädchen ohne Unterbrechung.

Zum Jahreswechsel haben wir drei weitere dieser Berufsschulen in Anwesenheit des Erziehungsministers der Provinz eröffnet. Die Lehrerinnen an all unseren Ausbildungsstätten unterrichten ohne Einschränkungen jeden Tag die Mädchen.

Unsere Ärztinnen, Hebammen und Krankenschwestern versorgen weiterhin an sieben Tagen die Woche ihre kleinen und großen Patienten und werden wie auch die Lehrerinnen regelmäßig bezahlt.

Das Hauptproblem des Landes ist die katastrophale Ernährungslage:

Über die Hälfte der Bevölkerung hat seit Jahren nie genug zu Essen.  Zehntausende Säuglingen und Kleine sind chronisch fehl-, mangel- und unterernährt. Vermutlich sind in den vergangenen Jahren Hunderttausende Afghanen schlicht verhungert.

Wir versorgen daher, seit dem Abzug des Westens im August 2021 in Jalalabad und in den Flüchtlingslagern, im Raum Kabul jede Woche ca. 800 Familien mit Lebensmittelpaketen und junge Mütter mit Säuglingsnahrung. Wir werden und müssen diese Aktion mindestens auch in den nächsten Monaten fortsetzen. Wegen der gesamtwirtschaftlich desolaten Lage im Land haben wir zu Jahresbeginn 2023 die Gehälter deutlich erhöht. 

Die Sicherheitslage ist weiterhin unverändert gut. Die Kriminalitätsrate sehr gering.

Vor wenigen Wochen haben die Taliban durch Gerichtsentscheid erst-, und bislang einmalig, die Todesstrafe verhängt. Ein Raubmörder aus 2018 wurde nach dem Todesurteil durch den Vater des Getöteten erschossen. Während der alten Regierung war nach ihm nicht gefahndet worden; er gehörte zu einer Familie, welcher der Regierung nahestand.

Die Strafen Handabhacken und Steinigen, welche noch während des ersten Taliban-Regimes – 1996 – 2001 – üblich waren, sind bislang nicht verhängt worden. 

In den christlichen Gemeinden unseres Freundes, des katholischen Paters Leonhard im Nachbarland Pakistan, gibt es seit Monaten nur unregelmäßig elektrischen Strom. Wir haben daher weitere Photovoltaikanlagen auf seinen christlich – moslemischen Schulen errichtet.

Damit Afghanistan auch weiterhin Thema in der Politik und in den Medien bleibt, laden Sie uns zu Vorträgen/Veranstaltungen ein. Wir kommen gerne, selbstverständlich ohne Honorar.

Unsere beiden Bücher „Tee mit dem Teufel“ und „Unter Taliban Warlords und Drogenbaronen“ sind im Buchhandel leider nicht mehr verfügbar, können aber bei uns direkt bestellt werden.

Alles Gute im neuen Jahr, bleiben Sie gesund und uns weiterhin verbunden.

Herzlicher Gruß,

Annette und Reinhard Erös

Und noch ein Artikel der Augsburger Allgemeinen Zeitung zu diesem Thema:

Bildungs- und Arbeitsverbote für Frauen sind sogar unter den Taliban umstritten

Junge afghanische Mädchen besuchen den Unterricht in einer Grundschule in Kabul. Doch jetzt gibt es eine Anordnung, dass Mädchen nur bis zur sechsten Klasse unterrichtet werden dürfen.

Mit Erlassen wollen die Machthaber Mädchen und Frauen weitgehend von Bildung fernhalten. Die Afghanistan-Experten Reinhard Erös und Thomas Ruttig warnen vor den Folgen.

Kann es sich ein Staat leisten, rund die Hälfte der Bevölkerung weitgehend aus Bildungseinrichtungen auszuschließen und ihre Teilhabe am öffentlichen Leben stark zu beschränken? Natürlich nicht. Ultrareligiöse Taliban-Politiker in Afghanistan verfolgen dieses Ziel dennoch: Radikale Islamisten hatten Mädchen den Schulbesuch nur noch bis zur sechsten Klasse erlaubt und Frauen von den Universitäten des krisengeschüttelten Landes verbannt. Am Samstag folgte der zweite Schlag. Nun wurde angeordnet, dass Nichtregierungsorganisationen (NGOs) keine Mitarbeiterinnen mehr einsetzen dürfen, da es Verstöße gegen muslimische Kleidungsvorschriften gegeben habe. Maßnahmen, die an die rücksichtlose, brutale Politik der Taliban während ihrer ersten Herrschaft von 1996 bis 2001 erinnern. 

Der Ausschluss von Mitarbeiterinnen der NGOs hätte katastrophale Auswirkungen

Eine rigorose Umsetzung dieser Anordnungen hätte katastrophale Folgen für das Land – zumal mehrere Hilfsorganisationen ankündigten, ihr Engagement auszusetzen, wenn Frauen in ihren Reihen suspendiert werden müssten. Das Problem liegt auf der Hand: Nur Mitarbeiterinnen können Frauen und Mädchen helfen. Männlichen Kräften wird von den meisten Familien – gerade auf dem Land – der Kontakt zu Ehefrauen, Schwestern oder Töchtern verweigert. „Wenn die Hilfsorganisationen in der ohnehin schon wirtschaftlich chaotischen Situation dauerhaft ihre Arbeit einstellen, droht eine humanitäre Katastrophe“, sagt der Leiter der Kinderhilfe Afghanistan, Reinhard Erös, unserer Redaktion. Die von Erös gegründete Organisation betreibt im Osten des Landes Schulen, eine Universität in Nangarhar und medizinische Ausbildungseinrichtungen. 

Aktuelle Meldungen belegen, dass die jüngsten Einschränkungen auch unter den Taliban, die seit dem überstürzten Abzug einer militärischen Allianz unter Führung der USA im August 2021 an der Macht sind, umstritten sind. Die ARD zitiert aus einem vertraulichen Gesprächsprotokoll: Danach erklärte Taliban-Wirtschaftsminister Hanif in einem Treffen mit Ramis Alakbarow, UN-Koordinator für die Afghanistan-Hilfe, dass das Arbeitsverbot ausdrücklich nicht für den medizinischen Sektor und nicht für die UN gelte. Laut des Protokolls habe Hanif auch zugesagt, sich dafür einzusetzen, dass Frauen weiterhin für die NGOs tätig sein können. Der UN-Sicherheitsrat hatte die Taliban aufgefordert, alle Bildungsverbote aufzuheben und eine „Aushöhlung der Menschen- und Freiheitsrechte“ durch die Frauenpolitik der Machthaber kritisiert.

Die Taliban sind eine heterogene Gruppe

Der Mitbegründer der unabhängigen Denkfabrik Afghanistan Analysts Network, Thomas Ruttig, verfügt über Informationen, dass das Gesundheitsministerium zuvor bereits mitgeteilt hat, „dass medizinisches Personal nicht von den Verboten betroffen sei, Frauen also weiterarbeiten könnten.” Zwar will Ruttig nicht von einem offenen Machtkampf bei den Taliban sprechen. Aber: „Es gibt einen Kern von ultrakonservativen Taliban um den obersten geistlichen Führer im Land, Emir Achundsada, der die Verbote erlassen hat. Sie geben die Positionen vor, und die Pragmatischeren haben bisher kaum öffentlich Kritik geäußert. Sie müssen jetzt aktiv werden. Allerdings könnten sie sich damit in Lebensgefahr bringen“, sagt Ruttig, der lange in Afghanistan gearbeitet hat, im Gespräch mit unserer Redaktion. 

Erös ist sich sicher, dass die besser gebildeten Minister unter den Taliban „gegen die Verbote sind“. Zu dieser Gruppe zählt er Gesundheitsminister Ibad, Verteidigungsminister Jakub oder Außenminister Muttaki, die in Kabul arbeiten. „Sie sind pragmatischer als die radikale Gruppe um den Emir Achundsada in Kandahar.“

 

28.12.2022. augsburger-allgemeine.de, von Simon Kaminski

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